Das Tal wird sich radikal verändern – Artikel aus Ausgabe Sommer 2022

Im Gespräch mit Franz M. Schmid-Preissler

Der Unternehmensberater Franz M. Schmid-Preissler warnt davor, die Zukunft im Tegernseer Tal nur den Großinvestoren zu überlassen. Er fordert: Es braucht einen Zusammenschluss aller Talgemeinden und der unterschiedlichen
Gruppierungen, um das Tal zukunftstauglich zu halten.

Sie vertreten die Ansicht, dass sich das Tegernseer Tal in den kommenden zehn Jahren dramatisch verändern wird und warnen vor der Entwicklung. Wie begründen Sie dies?

Schauen Sie sich an, was in den nächsten Jahren an Fünf-Sterne – bzw. High-Level – Hotels im Tegernseer Tal geplant ist. Da gibt es das Projekt, für das Til Schweiger mit seinem Namen wirbt, dann soll das Bachmair am See eine Wiedergeburt
erfahren, das Seehotel Überfahrt muss umfassend für den Markt renoviert werden, wenn es weiterhin darin bestehen will. Es gibt die Egerner Höfe. Marriott wird das neue Hotel, das die Tegernseer Kaffeebohne nennen, betreiben. Das Almdorf wird entstehen. Die Seeperle ist an der Rottacher Seestraße geplant. Das Strüngmann-Projekt in Bad Wiessee steht an. Wildbad Kreuth wird entwickelt. Wir sprechen, grob geschätzt, von einer Milliarde Euro Invest, die hier getätigt wird. Das revolutioniert den Markt im Tal. Wenn es schiefgeht, geht es mit der Wirtschaft im Tal in den Graben.

Das ist die Entwicklung im Tourismus. Was haben Immobilienmarkt und Tourismusim Tegernseer Tal gemeinsam?

Beide Branchen bilden das Rückgrat der Wirtschaftskraft im Tal. Sie sind eng miteinander verwoben. Immobilienmakler können nur verkaufen, was angeboten wird. Wer hier verkauft, will seinen besten Erlös erzielen. Der Tourismus braucht eine Vision, wie es hier weitergehen soll. Wenn solche Summen investiert werden, dann müssen die Betten gefüllt werden. Es wird wohl keines unter 200 Euro die Nacht kosten, das ist noch an der unteren Marge gerechnet. Gäste, die bereit sind,
diesen Preis zu zahlen, wollen weder in der Kolonne um den See fahren, noch genügt ihnen das Umfeld. Wie ein höheres Shopping- und Unterhaltungsangebot. Sie müssen sich fragen: Wie nehmen Sie da den Standort mit? Die neuen Hotels
und Hoteliers werden die Änderungen erzwingen. Sie haben ihre eigenen Shops im Haus. Sie führen ihre eigene Wellnesseinrichtung. Es wird ohne Plan und Reglement einfach ein harter Marktkampf sein. Dagegen muss man ein Korrektiv
setzen.

Das heißt, das, was die Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal (SGT) in ihren Protesten äußert, also zu viele große Bauten an unpassender Stelle, sehen Sie auch so?

Die SGT meint es schon gut, aber vor was schützt sie? Sie polarisiert. Es wird keine Vision vorangestellt, sie laufen der Entwicklung hinterher. Sie kritisieren, durchaus mit Recht. Aber es ist selten erkennbar, warum sie für das eine und nicht für das andere stehen. Das Tegernseer Tal braucht eine Gemeinschaft, die wirklich mit den unterschiedlichen Einwohnergruppierungen einen Zusammenschluss schafft. Sie können sich nicht auf Dauer gegen die Wirtschaftskraft stellen. Das Tal sollte ein Alleinstellungsmerkmal aufbauen, welches übergreifend die Wirtschaftskraft prägt.

Wer im Tal daheim ist, weiß, dass ein Zusammenschluss kaum möglich ist. JedeGemeinde spielt ihr eigenes Spiel. Und wenn Einwohnern in ihrer direkten Umgebung etwas missfällt, wird geklagt, weil man seinen Blick mit Haus, den man teuer gekauft hat, nicht beeinträchtigt haben will. Da klingt Ihr Vorschlag in meinen Ohren etwas naiv!?

Die Gemeinden haben unterschiedliches Publikum. Bad Wiessee hängt am Tropf vom Medicalpark und den Kliniken. Die Wiesseer brauchen für ihren Gemeindehaushalt das Strüngmann-Projekt. Oder nehmen Sie Tegernsee. Da gibt es nur
noch das Bräustüberl. Das Gesundheitshotel, das sich mit Hotel Der Westerhof erschlossen hätte, ist seit einem Jahrzehnt umkämpft. Dabei sind die Bauten weder energetisch noch architektonisch up to date. Doch da zählt kein Argument. Dafür
ist aber eine „Kaffeebohne“ gigantisch geraten. Das Tal muss sich in den nächsten fünf Jahren ein neues Publikum erschließen, sonst gibt es elende Preiskämpfe.

Und wen sehen Sie dafür in der Pflicht?

Die Immobilienbranche ist nur gefragt, solange das Tal attraktiv ist. Es muss eine neue Ausgewogenheit von Ferien-, Tages-, Stundentourismus und Selfie-Stopover geben.

Das müssen Sie erläutern: Was ist ein Selfie-Stopover?

Wir beraten Tourismusdestinationen auf internationaler Ebene. Nach der Pandemie wird sich der Markt noch mehr verändern. Internationale Gäste werden nach München einfliegen, schauen sich Neuschwanstein an, fahren nach Salzburg und
pausieren dazwischen am Tegernsee. Da muss das richtige Selfie gemacht werden. Oder Bustouren aus ganz Deutschland kommen, übernachten außerhalb vom Tal, weil es dort billiger ist. Die Reisegruppen kommen hier nur durch. Sie gehen
ins Bräustüberl und machen ihr Foto. Dieses Segment wird wachsen. Eine klare Angebotsstruktur hält den freien Spaßtourismus vom Tal fern.

Verlassen wir mal die Tourist-Schiene. Was hat das, was Sie sagen, mit dem Immobiliensektor zu tun?

Kulinarik, Spa, Resort und Wellness sind nichts Besonderes mit USP-Charakter, sie unterscheiden sich von ganz gewöhnlichen Dörfern in der Provinz nur noch durch den Preis. Das Spektrum der Marktteilnehmer besteht für mich aus viel
mehr Akteuren. Im Kern der Immobilienwirtschaft sind das die Makler und Bauträger. Doch dazu kommen auch die Bauern, in ihrer Eigenschaft als Landschaftsgärtner, sie sind die Eigentümer des größten Teiles der Grundflächen. Dann die
Architekten, die Handwerker, der Einzelhandel, die Banken und natürlich Käufer und Verkäufer von Grund und Boden. Deshalb übrigens sollten die Marktteilnehmer aktiv am Marktgeschehen beteiligt sein.

Was Sie hier sagen, gleicht dem Aufruf zu einer Revolution. Wo wollen Sie ansetzen? Die Gemeinderäte entscheiden, das Landratsamt entscheidet anders. Die Ressourcen, also Land, Schönheit des Tals, das, was man Heimat nennt, wenn man hier lebt, werden einfach verbraucht. Was also sollte da eine Strategie sein?

Das Tegernseer Tal sollte sich bemühen, im Landratsamt besser vernetzt zu sein. Verantwortung gegenüber den Bürgern des Tegernseer Tals muss das Geschäftsgebaren prägen.

Entschuldigung, aber wenn’s ums Geld geht, ist noch selten jemand bescheiden im Tal zurückgetreten! Erben müssen verkaufen, Zweitwohnungsbesitzer wollen kaufen. Da schaut doch jeder, dass er den besten Preis erzielt.

Nochmal: Die Tinte, mit der die Zukunft geschrieben wird, heißt Verantwortung. Wenn es um Verkauf geht, darf man eben nicht auf die setzen, die den besten Preis versprechen. Bauherren, die von außen einen Invest vorantreiben, haben
kaum die Bindung an das, was hier an echten Werten erhalten werden soll. Der heimische Makler hat eine erweiterte Vertrauensposition, d. h., er hat auch eine Verantwortung gegenüber den Menschen und den Werten des Tegernseer Tals. Es
ist wichtig, in die Vertrauen zu setzen, die hier dafür einstehen. Dafür müssen sie alle das Gegengewicht zum Markt werden und an einem Strang ziehen.